Musical in Potsdam
„Lazarus“-Premiere am Hans-Otto-Theater: Hätte David Bowie doch den Himmel in Brand gesteckt!
Ist das Rock'n'Roll oder ist das Mädchen nur ein "chemischer Rülpser", wie es im Stück heißt? Philipp Mauritz und Mascha Schneider in "Lazarus".
Quelle: Thomas M. Jauk
Das Musical „Lazarus“ wird in Potsdam als weiß getünchte Reflexion gezeigt, dem Affen gibt man hier nur selten Zucker. Das Ensemble bleibt unter seinen Möglichkeiten.
Potsdam. Am Ende spielen sie „Let‘s Dance“, zehn Bowies auf der Bühne des Hans-Otto-Theaters, einer bunter als der andere, Plateau-Sohlen, Strickoberteile, das ganze Arsenal der Blumenkinder. Die Samstagnacht kommt nun auf Touren, doch es sind die letzten Takte dieses Musicals, das gut zwei Stunden lief, wir sind schon in der Nachspielzeit von „Lazarus“. „Let‘s Dance“ steht nicht im Stück, in Potsdam hat man es dazu genommen, vielleicht aus dem Gefühl heraus, den Leuten doch noch Bonbons anzubieten. Denn es war ein Abend ohne Zucker (Regie führte Bernd Mottl).
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Es muss nicht immer ausgelassen sein, was auf der Bühne läuft, das Theater stammt als Form aus der Antike, die es mit dem Spaß nicht übertrieben hat. Doch wenn „Musical“ auf den Plakaten steht, dann möchte man doch mitgerissen werden, zumindest zwischendurch. In Potsdam hat das Tradition. Wer denkt da nicht an diesen tollen Abend über Rio Reiser, den das Hans-Otto-Theater 2019 unter dem Titel „König von Deutschland“ bot und das Haus vor Euphorie fast abgebrannt hat?
Die Phase der bunten, weiten Hosen bei David Bowie lag lange zurück
Doch wir reden hier bei „Lazarus“ vom späten Bowie, der das Stück geschrieben hat, man sollte diesen Satz als Warnung nehmen, falls man zu viel Konfetti in die Tasche steckt. „Lazarus“, das Musical, erschien 2015, ein Jahr vor seinem Tod, die Phase mit den bunten, weiten Hosen lag Jahrzehnte hinter ihm – die Musik war längst etwas für Kritiker, nicht mehr für Fans, die sich von Bowie einen Maskenball versprachen. Mit seinem letzten Album „Blackstar“, wenige Tage vor seinem Tod veröffentlicht, schrieb er ein schwarzes Meisterwerk, man sollte es eher gegen Mitternacht einschalten.
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Diesen Ton der Selbstbesinnung, getrieben von Dämonen, durchweht auch „Lazarus“, weit weg von jeder Form der Hippie-Fantasie. Und auch dieses sollte man im Blick behalten: Der Held von „Lazarus“, dieser Thomas Newton, träumt nicht mehr. Zum Frühstück gibt es Gin und Knusperflocken.
Im Musical „Lazarus“ gibt es eine Klinik, kein Zuhause
Seine Wohnung ist bereinigt von den Spuren eines Alltags, alles ist hier weiß, eine Klinik, kein Zuhause. Thomas Newton wird gespielt von Philipp Mauritz, auch er komplett in Weiß, und man möchte gleich zu Anfang fragen, warum hier keine Farbe als ein Statement in den Abend aufgenommen wurde, warum das hier nach Zahnarzt riecht.
Die Aura eines Krankenhauses lässt an diesem Abend wenig Sinn erkennen – der alte Kunstgriff „Die Figur ist unbeschrieben, die Welt des Mannes ist nicht definiert, ist überschreibbar mit den Projektionen eines Publikums, das seine individuellen Eindrücke aus einer disruptiven Gegenwart verwenden darf“ findet keine Resonanz. Weiß wirkt wie eine Leerstelle. Als Mangel an Ideen, wie man den Abend präsentieren könnte, vielleicht gar mundgerecht und appetitlich, trotz des dunklen Themas, das Bowie auftischt.
Bowie erzählt von einem Mann, der als Außerirdischer auf unsere Erde kam, von einem anderen Stern. Er wollte das eigene Volk retten, es mit dem Raumschiff auf die Erde holen, doch das hat nicht geklappt. Nun hängt er auf der Erde fest, seit Jahrzehnten, fühlt sich hier nicht heimisch, ruft „Ich bin ein Sterbender, der nicht sterben kann“ (als habe Bowie diesen Satz bei Hamlet geklaut). Und will zurück auf seinen fremden Stern.
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Mauritz spielt den Mann derart apathisch, dass man es schnell verstanden hat, wie sehr der Thomas Jerome Newton auf der Erde, leider auch auf der Potsdamer Bühne, leidet. Sein Haar hat er, über dem weißen Anzug, orange gefärbt, wie der Bowie in der „Hunky-Dory“-Phase, dem Album aus den Glam-Rock-Tagen. Das ist ein Etiketten-Schwindel, denn mental in dieser Zeit, herum um 1971, bewegt sich Newton sicher nicht. Auch dass als einzig bunte Schnipsel auf der Bühne (Bühne und Kostüm: Friedrich Eggert) die grellen, alten Alben von Bowie aus den 70ern und 80ern geparkt sind, ist eine Fußnote und pure Nostalgie, ohne inhaltliche Klammer zum Stück.
Die Band bleibt im Hintergrund, keine jaulenden Gitarren auf der Bühne
Es gibt eine Band im Hintergrund, sie spielt live, was für ein Geschenk an Sound und Dynamik. Doch die Band wird versteckt, spielt hinter der Bühne, ist anfangs kurz zu sehen, dann verschwindet sie. Kein Eingriff in die Handlung, kein optisch inspirierter Auftritt, keine jaulende Gitarre auf der Bühne, kein wummernder Bass.
Immerhin, es kommt nun eine Fee, die einfach „Mädchen“ heißt, gespielt von Mascha Schneider. Das kann ein Glücksfall sein, denn Schneider ist mit ihrer Energie so etwas wie die Garantie, einen lauen Abend von kränkelndem Intellekt zu befreien. Denn sie kann schreien, und wenn sie tanzt, ist das zuweilen Furor und die unverblümte Bitte, sich jetzt endlich mal locker zu machen. Mascha Schneider aber wird in Weiß gehüllt, und nahezu wird ihr der Mund verboten. Wofür man nicht das Potsdamer Theater haftbar machen kann, sondern sich an Bowie und seinen Co-Autor Enda Walsh wenden müsste.
Das Mädchen ist als Rolle eine entschärfte Version des Schneider‘schen Temperaments, eine verschenkte Chance, den Abend ins Schweben zu bringen. Newton sagt, sie ein „chemischer Rülpser“, den ihm sein Hirn ausspuckt. Ein guter Witz, man lacht. Doch man lacht nicht oft an diesem Abend. Das Mädchen ist nur eine Halluzination, die Newton helfen will, eine Rakete für den Heimflug zu basteln.
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Doch es geht in einem Musical ja um Musik, nicht zwingend um die Handlung, so möchte man sich trösten. Und es gibt tatsächlich Hits, die zwar nicht ausgelassen, aber weltbekannt sind. Und sie zünden gleich nach ein, zwei Takten. Dann immerhin, wenn sie laut und offensiv in das Programm geschoben werden. „Changes“ wird noch nachdenklich von Elly (Nadine Nollau) als ein Soundtrack ihrer Sinnkrise, die sie als Newtons Angestellte spürt, ins Moll gezogen.
Doch „Absolute Beginners“,„Live on Mars?“, „All the Young Dudes“ und „Valentine‘s Day“ sind Nummern, die als Revue geplant sind, getragen vom Ensemble, farblich akzentuiert nicht nur vom blauen Haar und gelben Top, das Mary Lou (Alina Wolff), Newtons verflossene Liebe, zu bieten hat. Ja, nach der Pause wird es bunter.
Und wenn schon einen dunklen Ton im Stück, dann bitte richtig. An dem Weiß des Abends beißt man sich die Zähne aus, deshalb ist man glücklich, als endlich dieser Dämon Valentine (Jan Hallmann) auf die Bühne tritt. Man spürt, er meint es ernst. Seine Augen flackern, seine Stimme zeigt Präsenz. Er flaniert, marodiert, wippt. Er verzweifelt und jubelt, immerhin Gefühle, die wir kennen. Man hätte Bowie bitten sollen, dem Dämon dieses Musical zu überlassen. In Potsdam wollten sie nicht gegenlenken, sind dem Stück zu brav gefolgt. Was Intellekt und Unterhaltung angeht, wird es ein Abend mit mäßigem Ertrag.
Info: Weitere Vorstellungen am 24., 25. Oktober, 3. (15 Uhr), 8., 23., 24. (17 Uhr) November. Wenn nicht anders angegeben, je um 19.30 Uhr. Hans-Otto-Theater, Großes Haus. Schiffbauergasse 11, 14467 Potsdam. Karten unter Tel. 0331 / 9 81 18. www.hansottotheater.de
MAZ